Dirigentin Joana Mallwitz
Dirigentin Joana Mallwitz
»Für mich ist jedes Werk wie eine eigene Welt, die ihren eigenen Regeln gehorcht. Man muss versuchen, diese Regeln zu verstehen und diese Welt von jedem Winkel aus erkunden.«
Joana Mallwitz ist eine der gefragtesten Dirigentinnen unserer Zeit. Die in Hildesheim geborene Künstlerin ist regelmäßig an allen großen Opernhäusern und bedeutenden Konzertsälen zu Gast. In unserem Blog erzählt sie von ihrer Faszination und Leidenschaft für ihren Beruf.
Liebe Joana,
Was fasziniert Dich an der Arbeit mit einem Orchester am meisten?
Ein Sinfonieorchester ist ja ein riesiges Ensemble, das wie ein lebendiger Organismus funktioniert. Nicht nur Können und Technik, sondern eben auch die Energie jedes und jeder Einzelnen prägt maßgeblich das Ergebnis, den Klang. Daher hat das gemeinsame Musizieren mit einem ganzen Orchester schon etwas Unerklärliches, Zauberhaftes. Ich glaube, es ist die direkteste, schnellste Art der Kommunikation: so schnell gehen da die Impulse hin und her. Und das funktioniert nur mit Vertrauen und Hingabe von allen. Davon bin ich immer wieder fasziniert.
Passiert es manchmal, dass Du keinen Zugang zu einem Werk findest?
Für mich ist jedes Werk wie eine eigene Welt, die ihren eigenen Regeln gehorcht. Man muss versuchen, diese Regeln zu verstehen und diese Welt von jedem Winkel aus erkunden. Die Partitur ist dabei wie eine Landkarte, die einem durch viele kleine Hinweise und Zeichen ermöglicht, sich auf jedem Zentimeter zurechtzufinden. Am Ende aber lernt man jedes Werk erst auf der Bühne kennen, in dem Moment, wo der Klang dann wirklich entsteht. Und natürlich gibt es Werke, zu denen man von Anfang an eine innige Beziehung aufbaut, und die man im Leben immer wieder von neuen Seiten kennenlernt; vielleicht so wie die lange Beziehung zu einer interessanten Person. Und es gibt auch Werke, bei denen ich im Konzert merke: Da sind wir über das bloße Darstellen der Landkarte noch nicht hinausgekommen. Das heißt dann entweder, dass ich die Regeln dieser Welt noch nicht hinreichend verstanden habe – und mich wieder in die Partitur vertiefen muss – und manchmal auch, dass es einfach nicht mein Stück ist.
Welche Fähigkeiten sollte ein idealer Opernregisseur Deiner Meinung nach haben?
Die Empfindsamkeit, danach zu suchen, welche Form von »Regie« der Komponist dem Text bereits gegeben hat. Denn in der Art und Weise, wie ein Text vertont wird, liegen ja schon wesentliche Elemente der Aufführung: In welchem Tempo, in welchem Tonfall, mit welcher Harmonie, in welcher Tonhöhe spricht/singt ein Darsteller einen Satz? Am Ende läuft es meiner Meinung nach auf eine Sache hinaus: Menschen erzählen Menschen Geschichten über Menschen. Und diese Geschichten werden die Zuhörer nur dann ins Herz treffen, wenn jeder Darsteller zu jeder Zeit meint, was er sagt. Diesen Moment zu ermöglichen, das ist Aufgabe der Regie – und wenn das gelingt, ist Oper die schönste aller Kunstformen.
Wie sieht es bei einem Dirigenten aus?
Ganz genauso. Sowohl Dirigent als auch Regisseur müssen da gemeinsam suchen, die größtmögliche Kraft des Ausdrucks zu ermöglichen. Daher ist eine gute und enge Zusammenarbeit zwischen Regie und Musik auch so wichtig.
Im Probenalltag passieren immer mal wieder lustige oder vielleicht auch ärgerliche Momente – fällt Dir da spontan etwas ein?
Nicht in einer Probe, sondern in einer Vorstellung von »Idomeneo« habe ich einmal meinen Dirigierstab verloren, der flog in hohem Bogen ins Publikum. Mehrere Orchestermitglieder reichten mit dann ihre Bleistifte von den Pulten, damit ich damit weiterdirigieren konnte – aber natürlich kann man eine Mozartoper auch ohne Dirigierstab dirigieren. Mein Stab ist allerdings nie wieder aufgetaucht, trotz der Hilfe vieler Kollegen der Technik, die hinterher den ganzen Saal absuchten.
Du bist inzwischen eine der gefragtesten Dirigentinnen unserer Zeit und berufsbedingt sehr viel auf Reisen. Wie schaffst Du Dir ein »Home away from home«, wenn Du unterwegs bist?
Wenn ich allein reise, genieße ich es, mich vollkommen und ausschließlich auf die Arbeit zu konzentrieren. In einer Konzertwoche in einer anderen Stadt habe ich meist gar keine Möglichkeit oder Zeit, ein bisschen anzukommen oder die Stadt zu erkunden. Anders ist das bei Opernproduktionen, die ja immer mehrere Wochen dauern. Da ist es wunderbar, wenn meine Familie zumindest zeitweise mitreisen kann und wir gemeinsam Zeit an neuen Orten verbringen können.
Herzlichen Dank für das Gespräch!